Die Angst vor der Trennung und die Angst vor dem Alleinsein stehen dem Verlassen einer dysfunktionalen Beziehung nicht selten massiv im Weg. Diese Ängste drücken sich manchmal auch unklar und nicht definierbar aus.
Dabei verhindert eine solche Angst eine Trennung, die doch bewusst längst als notwendig erkannt wurde. Man hat sie mit dem Verstand vollends akzeptiert und beschlossen. Und letztlich kann sie doch nicht vollzogen werden. Oder man kehrt nach Trennungsversuchen immer wieder zurück. Die Angst erzeugt eine durch die Vernunft allein anscheinend nicht zu überwindende Hürde.
Da diese Hürde im Unterbewusstsein verborgen liegt, ist sie mit dem Bewusstsein allein eben nicht zu bewältigen.
Diese Hürde ist es, die den ohnehin schon vorhandenen Trennungsschmerz noch schlimmer macht. Diese Hürde ist ursächlich dafür verantwortlich, dass Menschen, die bereits absolut verstanden haben, dass sie sich aus einer destruktiven Beziehung befreien müssen, sich nicht befreien können. Außenstehende können in diesen Fällen schwer nachvollziehen, warum klare Entscheidungen nicht umgesetzt werden und die betroffene Person den beschlossenen Weg nicht einschlagen kann.
Aber es verhält sich genauso: Betroffene können aufgrund tiefsitzender Ängste eine dysfunktionale Beziehung häufig nicht verlassen oder können die gerade erlebte Trennung des anderen nicht überwinden. Solch eine unbewusste Trennungsangst kann durchaus mit heftigen Begleiterscheinungen wie Panikattacken und suizidalen Gedanken auftreten.
Dem Gefühl begegnen
Hier geht es tatsächlich um ein Gefühl. Die Hürde ist ein Gefühl. Dieses Gefühl soll die Berührung mit dem als final empfundenen Trennungsschmerz unbedingt vermeiden. Es scheint erstaunlich, dass ein erwachsener Mensch quasi seine gesamten Lebensumstände steuern kann, aber nicht in der Lage ist, ein bestimmtes Gefühl zu überwinden. Oder anders ausgedrückt: Dass die Person nicht in der Lage ist, sich zunächst diesem bestimmten Gefühl überhaupt zu stellen.
Betroffene dysfunktionaler Beziehungen verharren meist sogar lieber unter desaströsen Umständen. Sie klammern sich eher an ihre dysfunktionale Beziehung fest, als dass sie diese verlassen würden. Nicht selten werden sie jedoch im Verlauf der Beziehung dann selbst verlassen. Dann müssen sich auf die harte Tour dem Gefühl stellen, dem sie doch unbedingt ausweichen wollten. Wenn sie so hart verlassen werden, stehen sie plötzlich inmitten ihres größten anzunehmenden Schmerzes. Hier sind höchste Sensibilität und Achtsamkeit geboten, denn diese Situation ist für viele Betroffene kaum tragbar.
Was passiert da eigentlich?
Warum ist das so? Und was geschieht da eigentlich? Stelle dir vor, dass du einem Kind seine wichtigste Bezugsperson wegnehmen möchtest! Es wird das nicht hinnehmen wollen und sich damit nicht arrangieren können. Das gilt selbst dann, wenn es mit dieser Bezugsperson unter den übelsten Umständen zusammenlebt. Es wird sich in aller Regel sogar noch schützend vor seine Bezugsperson stellen und versuchen, diese in ihrem Leben zu behalten. Dabei spielt es häufig keine Rolle, welche Form von Destruktivität es von dieser Bezugsperson erfahren hat.
Das Kind ist abhängig von seiner Bezugsperson und zwar in einer überlebenswichtigen Art und Weise. Besteht also die Bedrohung, dass das Kind diese Bezugsperson verliert, wird das Kind dieser Möglichkeit nicht zustimmen. Unter gar keinen Umständen könnte oder würde es dies tun. Und zwar um des reinen Überlebens Willen. Es wird kämpfen.
Genauso verhält es sich in toxischen Beziehungen gleich welcher Art. Sie sind oberflächlich zumeist romantisch geprägte, doch dabei auch desaströse On/Off Beziehungsdramen. Sie sind leidvoll, destruktiv, nicht erfüllend und völlig ungesund. In der Tiefe aber sind es Neu-Inszenierungen alter, schon früher dagewesener Traumata.
Das Trauma herrscht im Verborgenen
Dieses Trauma hat jedoch das ehemalige "Kind" im Griff. Der gegenwärtige Erwachsene in dir hat sein Leben darum herum arrangiert, möglichst ohne es überhaupt bemerken zu müssen oder zu können. Aus diesem Grund schmerzt und verängstigt das Loslassen so ungeheuer intensiv, weil sich das "Kind in dir" lösen soll und das Trauma wieder zu erleben scheint. Also ein Kind soll quasi seine überlebenswichtige Bezugsperson loslassen, diese zurücklassen, sie selbst abweisen oder sich in irgendeiner Art und Weise von ihr trennen. Und nicht nur das. Es soll dann auch den Schmerz „hinterher“ aushalten. Und daran können sogar gestandene Männer und Frauen scheitern, die sonst mit beiden Beinen fest im Leben stehen.
Die Betroffenen scheitern am Schmerz des Inneren Kindes. Diesen Schmerz nennt man auch toxischen Liebeskummer. Diese Art Liebeskummer hat nichts mehr mit dem eines Erwachsenen zu tun, sondern bewegt sich auf einem existentiellen kindlichen Niveau. Zudem wirkt er unbewusst und lässt sich deshalb auch nicht mit dem Verstand, also auf bewusste Weise besänftigen. Wenn überhaupt, dann funktioniert diese Besänftigung nur geringfügig und ist meist zu schwach, um nach der Trennung eine normale Lebensqualität zu erreichen. Dieser Kummer ist so schmerzhaft und quälend, dass viele Betroffene sogar das Gefühl haben, sterben zu müssen. Wer sich als Betroffener an diesem Punkt wiederfindet, sollte nicht zögern und sich professionelle Hilfe suchen.
Eine erste Hilfestellung
Um einigermaßen mit seinen schmerzhaften Gefühlen zurechtzukommen, kann man sich an dieser Stelle immer wieder die Unterscheidung zwischen der wirklichen erwachsenen Realität und der ehemaligen Realität des Kindes bewusst machen. Diese wirkt unerlöst aber intensiv sozusagen aus der Tiefe heraus. Es hilft, dass man sich für eine gewisse Zeitspanne immer wieder als zwei Personen betrachtet, also das Kind und den Erwachsenen. Dem erwachsenen Selbst kann man den bewussten Auftrag erteilen, das innere Kind durch diese erlebte oder bevorstehende Trennung zu tragen.
Man kann dem inneren Kind immer wieder versichern, dass es keine Sorge und keine Angst haben muss. Dass es sicher überleben wird.
Photo by Guillaume de Germain on Unsplash
Eine gute Affirmation dazu ist zum Beispiel:
"Wir beide schaffen das, denn ich werde für dich da sein, wenn es dir schlecht geht. Vertraue mir und hab keine Angst! Diese Situation tut uns beiden nicht mehr gut und es ist dringend an der Zeit, dass wir jetzt gehen".
Wenn beide zusammen gehen und zusammen daran arbeiten, also "das Kind und der Erwachsene" in dir, dann ist schon viel geschafft. Kummer, Ängste und Sorgen sind dann sicherlich noch vorhanden. Aber ihre unkontrollierbare Übermacht lässt nach, bis man selbst so weit gestärkt ist, dass man sich etwas Erholung in dieser absoluten Lebenskrise verschaffen kann. Dann kann man weitere Schritte in Angriff nehmen.
Solltest du suizidale Gedanken oder Gefühle haben, so kontaktiere jederzeit +49 (0)800 111 0 111 (gebührenfrei) oder einen Notarzt!
" Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt."
- Franz Kafka
Die an dieser Stelle vorgesehenen Inhalte können aufgrund Ihrer aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt werden.
Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Diese Webseite verwendet Cookies, um Besuchern ein optimales Nutzererlebnis zu bieten. Bestimmte Inhalte von Drittanbietern werden nur angezeigt, wenn die entsprechende Option aktiviert ist. Die Datenverarbeitung kann dann auch in einem Drittland erfolgen. Weitere Informationen hierzu in der Datenschutzerklärung.